Oft verwenden wir den Ausdruck in Bezug auf die Ehe. „Nun bin ich im sicheren Hafen der Ehe angekommen,“ sagen gern Frischverheiratete. Nach einiger Zeit bemerken sie jedoch, dass der vermeintlich „sichere Hafen“ Einengung sowie den Verlust von Lebendigkeit bedeutet und sich Unzufriedenheit breit macht. Und doch gibt es in uns immer wieder das Bedürfnis nach einem „sicheren Hafen“. Wie hängt das zusammen?
Der bekannte Autor André Stern ist in Frankreich aufgewachsen und nie in eine Schule gegangen. Sein Vater, Arno Stern, ist der Begründer des „Malspiel-Ortes“ – eine Institution, in der Kinder und Erwachsene ihre innere Spur malerisch zum Ausdruck bringen, ohne Bewertung und Beurteilung einer dritten Person. Dabei geht es nicht um das Erlernen von Zeichnen oder Malen, sondern um den Genuss des Malspielens.
Arno Stern verfolgt den Ansatz, dass in den Kindern alles schon vorhanden ist, dass nichts verbessert oder hinzugefügt werden muss, sondern ‚nur‘ der Raum zur freien Entfaltung zur Verfügung gestellt wird, welcher er den Kindern mit diesem Malspiel-Ort bietet. (www.arnostern.com)
Damit liegt er auf einer Wellenlänge mit dem Neurobiologen Gerald Hüther, mit dem sein Sohn André Stern zusammen ein Buch geschrieben hat. Allerdings empfehle ich heute wärmstens das Buch „Begeisterung“ von André Stern aus dem Elisabeth Sandmann Verlag. Dort beschreibt er unter anderem den „sicheren Hafen“, der für die Entwicklung des Kindes notwendig ist, um ein solides Fundament zu erhalten und damit die Möglichkeit zur freien Entfaltung.
Der „sichere Hafen“ als Eltern für das Kind zu sein bedeutet, es nicht als eine Belastung anzusehen, das schnell „passend“ für uns und die Gesellschaft gemacht werden soll, sondern liebend und bedingungslos anzunehmen, so wie es ist. Der sichere Hafen ist umrahmt von Rhythmus und wiederholenden Ritualen des täglichen Lebens, die eine zusätzliche Sicherheit dem Kind geben.
Entscheidend ist: Das Kind wird niemals wegen seiner Größe, seines Alters oder seines Geschlechts diskriminiert. In ihm ist alles für ihn Wesentliche schon vorhanden und es folgt der inneren Spur der Begeisterung, die den Raum für ihre Entfaltung sucht.
Das ist nicht leicht, wenn wir in dem Korsett von Kindergarten und Schule stecken und äußere Anforderungen an das Kind und auch an uns Eltern gestellt werden, damit das Kind „regelkonform“ in die Gesellschaft wächst. Aus diesem Grund schickte Arno Stern seine Kinder nicht in die Schule.
Als ich mich damit beschäftigte, sackte ich immer mehr in mir zusammen. Ich war für meine Kinder da gewesen, habe viel Zeit für sie gehabt, aber ich war nicht der „sichere Hafen“. Auch ich dachte, dass aus den Kindern etwas werden soll, damit sie ihr Leben später gut meistern; dass sie, so wie sie sind, noch nicht ausreichen, sondern sich ändern und noch sehr viel dazu zu lernen haben. Ich glaubte, dass das mein Erziehungsauftrag sei. Dafür habe ich sie getrieben und bewegte mich zwischen Motivieren und Schimpfen. Kindergarten und Schule (aus dem Waldorf Kontext) haben in das gleiche Horn geblasen.
Es war eine bittere Erkenntnis, dass ich meine Kinder mit meiner „Erziehung“ nicht gestärkt, sondern geschwächt hatte, obwohl ich doch eine so gute Absicht verfolgte. Zum Glück ist es nie zu spät für eine gute Kindheit – weder für uns selbst noch für unsere erwachsenen Kinder. Immer noch können wir ein „sicherer Hafen“ werden.
Für meine fast 20jährige Tochter bin ich auf dem Weg, der „sichere Hafen“ zu sein. Ich bleibe auf „Stand by“, lasse meine Tätigkeiten liegen, wenn sie etwas von mir möchte und akzeptiere ihre Eigenschaften und – arten. Dadurch entsteht in mir eine besondere Aufmerksamkeit ihr gegenüber und ich entdecke noch mehr (!) ihre wunderschöne Einzigartigkeit! Sie nimmt es sehr wohltuend auf, der Widerstand gegen mich ist völlig verschwunden und das Leben ist ein wunderschöner gemeinsamer Fluss geworden.
Auf mich selbst hat dieser „sichere Hafen“ eine immense Rückkopplung: Mein inneres Getriebensein und meine ständige Eigenoptimierung sind zur Ruhe gekommen. Auch ich bin gut so, wie ich bin und schätze meine Einzigartigkeit. Alles ist schon da und benötigt ‚nur‘ den Raum zur Entfaltung.
Der „sichere Hafen“ ist also die Voraussetzung für einen lebendigen Lebensfluss. Es ist unser Geist, den wir im Sosein entspannen sowie im Hier und Jetzt halten. Eine natürliche Bewegung folgt aus der Natürlichkeit unseres Seins.
Es entsteht eine Nährung aus dem eigenen Inneren und das ist die Erfüllung, die eigentlich die Frischverheirateten suchen. Doch da sie noch aus Unwissenheit diese Nährung vom Partner erwarten, entsteht eine nagende Unzufriedenheit, denn der vorhandene Mangel wird häufig nicht erfüllt. Wer in sich keinen „sicheren Hafen“ verspürt, kann auch keinen Hafen für den anderen bieten.
Der Weg führt also – wie meistens im Bewusstwerdungsprozess 😉 – über uns selbst. Das ist die maximale Freiheit und das größte Geschenk, was wir uns geben können. Wir kommen ganz bei uns an und ankern in unserem eigenen „sicheren Hafen“. Es ist alles vorhanden, du brauchst dich nur dafür zu öffnen.
Genieße deinen „sicheren Hafen“ in dem Fluss deines Lebens!